„Zurück in die Zukunft: was Bildungskonzepte von früher uns heute noch sagen“

FDP-Landtagskandidat Thorsten Krings plädiert für menschengerechtes Lernen

FDP-Landtagskandidat im Wahlkreis 37 (Wiesloch) Prof. Dr. Thorsten Krings (Foto: Thorsten Krings)

Der FDP-Landtagskandidat im Wahlkreis 37 (Wiesloch) Prof. Dr. Thorsten Krings hatte zu einer Online-Veranstaltung zum Thema Bildungspolitik eingeladen. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die Frage, ob progressive Ansätze in der Bildungspolitik, die in der Vergangenheit gescheitert sind, heute durch die Digitalisierung von Bildung wieder eine Perspektive haben.

Nach einem Überblick über die Demokratisierung von Bildung als politisches Handlungsfeld ging der liberale Landtagskandidat auf ein konkretes Projekt in Baden-Württemberg Ende der 60er Jahre ein, nämlich die Gründung der Ganztagsschule Osterburken (GTO) im Neckar-Odenwald-Kreis. In dieser Zeit gab es ein ausgesprochenes Stadt-/Land-Gefälle bei der Teilhabe an Bildung. Daher startete 1965 unter der Leitung von Prof. Dr. Kurt Aurin ein Projekt, das Bildungschancen für die Landbevölkerung schaffen sollte. Dies führte Mitte der 60er zur Gründung der Ganztagsschule Osterburken. Wichtig war damals nicht nur, dass Kinder aus der ländlichen Region Zugang zu gymnasialer Bildung bekamen. Vielmehr war das Ziel auch, dass eine Schule ein Gesamtkonzept bietet, das das ausgleicht, was das Elternhaus nicht leisten kann. Die Integration von Schülern aus dem Milieu, das man heute abwertend oder gönnerhaft als „bildungsfern“ bezeichnet, war der damaligen Bildungspolitik ein besonderes Anliegen. Damit die Kinder ein Umfeld erhielten, in dem sie sich voll entfalten konnten, war es notwendig, dass die Schule eine Bibliothek und ein Ganztagskonzept mit Hausaufgabenbetreuung bot. Zudem gehörte ein breites Angebot extracurricularer Aktivitäten im musischen Bereich zum Konzept. Bereits im ersten Jahr entsprachen etwa 2/3 der angemeldeten Schüler nicht dem sozialen Profil des durchschnittlichen Gymnasiasten der damaligen Zeit. Hatte man in den 60er Jahren den Anspruch, eine Infrastruktur zur Bildung anzubieten, so wird heute leider immer wieder die Forderung laut, der Staat solle nivellierend eingreifen. An dieser Stelle wies der Professor für Bildungsmanagement darauf hin, dass die Demokratisierung von Bildung nie Selbstzweck sein dürfe, sondern dass Bildung zur Selbstverwirklichung des Individuums, zur Stärkung der offenen Gesellschaft und zur ökonomischen Stabilität der Gesellschaft einen Beitrag leisten muss. Am Beispiel Italiens erläuterte Krings, dass eine Arbeitsmarktorientierung von Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen nicht etwa eine einseitige Ökonomisierung der Bildung bedeute, sondern zum Erlangen materieller Sicherheit befähigt und somit entscheidend zur Stabilisierung der Demokratie beiträgt. 

Da die GTO nicht nur eine Schule im ländlichen Raum war, sondern auch ein eigenes pädagogisches Konzept hatte, sollte dies auch architektonisch umgesetzt werden. Der Grundgedanke dabei war das, was man heute in der Hochschuldidaktik als problemorientiertes Lernen bezeichnet. In dieser Lernform sollen die Lernenden in Gruppensituationen weitestgehend eigenständig Lösungen für vorgegebene Probleme erarbeiten. Hierbei geht es vor allem um selbstbestimmtes und entdeckendes Lernen, das ganzheitlich Kompetenzen der Lernenden fördern soll und den Fokus nicht ausschließlich auf Wissensvermittlung legt. Daher waren die Unterrichtsräume als große Flächen und nicht als Klassenzimmer angelegt. Die Lehrer sollten sich in sogenannten „Clustern“ aufhalten und den Schülern auf deren Initiative hin als Ressource zur Verfügung stehen. Da das Konzept mit den damaligen methodisch-didaktischen und curricularen Anforderungen nicht in Einklang zu bringen war und die Schule auch deutlich schneller gewachsen war als ursprünglich geplant, wurde dieses Konzept jedoch nie in die Tat umgesetzt. In diesem individuellen Lernansatz sieht Krings eine Inspiration für die Digitalisierung von Bildung. Man könne nun Lernort und Schule voneinander entkoppeln, Schule und Praxis zusammenführen und individuelle Schwerpunkte und Lerngeschwindigkeiten definieren. Der Lehrer werde dadurch zum Lernbegleiter, was jedoch erst durch digitale Technik umsetzbar ist. Gerade vor diesem Hintergrund mahnte Krings den Digitalisierungsstau an Schulen in Baden-Württemberg an. „Wir haben jetzt die einmalige Chance, uns von veralteten Modellen zu trennen, Bildung neu zu erfinden und zu einem menschengerechten Lernen zu kommen“ führt Krings aus. Dennoch mahnt er: „Das darf aber nicht heißen, dass wir nun zu einer Kuschelpädagogik kommen. Die Frage nach Leistungsstandards und Ausbildungs- bzw. Studierfähigkeit darf nicht vernachlässigt werden. Nur wird die Antwort darauf komplexer ausfallen als in der Vergangenheit.“